Th. W. Adorno: Bemerkungen zu 'The Authoritarian Personality' und weitere Texte

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Titel
Bemerkungen zu "The Authoritarian Personality" und weitere Texte.


Autor(en)
Adorno, Theodor W.
Herausgeber
Ziege, Eva-Maria
Erschienen
Anzahl Seiten
161 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Clemens, Kulturwissenschaften, Universität Vechta

Liest man Eva-Maria Zieges kommentierte Ausgabe von Adornos „Bemerkungen zu ‚The Authoritarian Personality’“, lernt man als erstes, dass Adorno die Sekundär- und Forschungsliteratur seiner Zeit rezipierte und man fragt sich, wieso er diese nicht in Fußnoten angeführt hat. Das hat Ziege mit der Herausgabe dieses Bandes nun nachgeholt, ist dabei weit über Adorno hinausgegangen und hat den gleichnamigen Aufsatz auch ins Deutsche übersetzt. So wird ein weiter Hintergrund von Adornos Denken sichtbar: Viele seiner zentralen Thesen zum Antisemitismus, die ja oft in aphoristischen Höhenflügen formuliert sind, erhalten durch Zieges Ausführungen eine Leseanleitung mit „Hand und Fuß“, und man sieht – oft zum ersten Mal –, auf welche hintergründigen Gedankengänge, Theorien und Studien sie zurückgehen.

Der Band setzt an mit einem einleitenden Überblick der Herausgeberin zum kulturellen und ideengeschichtlichen Hintergrund der „Bemerkungen“, ihren Bezügen zu Adornos Antisemitismus-Kapitel in der „Dialektik der Aufklärung“ und der zentralen empirischen Untersuchung „The Authoritarian Personality“. Auf der Mikroebene dieses Überblicks führt Ziege aus, dass die „Bemerkungen“ als eigenständiges Kapitel der Studie zur „Authoritarian Personality“ geplant waren, aber lediglich einige Aspekte daraus „in das erheblich kürzere Schlusskapitel“ eingingen, „das nicht namentlich gezeichnet wurde und die Standpunkte der anderen Autorinnen und Autoren ebenso zu berücksichtigen hatte“ (Ziege, S. 9). Das schmälert aber nicht ihre Bedeutung. Ziege betrachtet sie als einen „Missing Link“: Die subjektive Ebene der „Authoritarian Personality“, die auf der persönlichen Ebene der Menschen ihre Ansprechbarkeit und Mentalität für autoritäre und populistische Botschaften untersucht, wird hier mit der Analyse der objektiven Ebene der sozio-ökonomischen Verhältnisse der „Dialektik der Aufklärung“ zusammengeführt, was die sozialpsychologisch erfasste individuelle Entfremdung mit der abstrakten Entfremdung im Kapitalismus zusammenbringt.

Der Aufsatz selbst besteht aus zwei großen Teilen, deren erster den Titel „Der Ort der Studie in der heutigen Forschung“ trägt. Hier findet hauptsächlich die Verortung der Authoritarian Personality im Kontext der Antisemitismusforschung der 1950er-Jahre statt: Adorno erläutert ihre Methode, und Ziege führt seine Erläuterungen weiter aus, sodass sich ein weitaus größerer Kontext ergibt. Sie geht dabei zahlreichen Anspielungen Adornos nach, welche die Leser übergehen würden, wäre da nicht eine Fußnote, die anzeigt, dass hier Themen oder Publikationen gestreift wurden, die eine Klärung verlangen und auf einen größeren Kontext verweisen. Adorno schreibt über unterschiedliche Themen: die bereits erwähnte Antisemitismusforschung, das empirische Methodendesign der „Authoritarian Personality“, das Verhältnis dieser Studie zum Theoriekontext der Frankfurter Schule, ihre Rezeption der Psychoanalyse und der politische sowie zeitgeschichtliche Kontext der USA, vor deren Hintergrund die Studie ja durchgeführt wurde.

Im zweiten Teil des Aufsatzes über die „Stellung der Studie im Verhältnis zu anderen Großtheorien“ (zum Antisemitismus) begründet Adorno seinen „ganzheitlichen“ Ansatz, um den Antisemitismus zu verstehen: Es seien weder allein die Ökonomie und der Neid auf die Juden, die den Antisemitismus erklärten, noch die soziologische These, dass eine Gesellschaft dem Fremden stets feindselig gegenüberstehe, oder ein religiöses Erklärungsmuster, das den Gegensatz zwischen Judentum und Christentum als Grund für Antisemitismus anführe. Mit Sartres existentialistischem Erklärungsmodell stimmt Adorno zwar überein, kritisiert es jedoch als zu individualistisch angelegt, da es suggeriere, der einzelne habe die freie Wahl, ob er Antisemit werde oder nicht. Das jeweilige spezifische Unbehagen, dass all diese Erklärungen feststellen, trifft zu, nur ist es für Adorno niemals nur ein einzelnes Unbehagen, sondern ein allgemeines Unbehagen in der Kultur, das den Antisemitismus hervorruft und sein letzter Grund ist. – Und auch hier sind Zieges Bezüge von Adornos Thesen zu Ökonomie, Soziologie, Religionswissenschaft und Existenzialismus eine Reise durch die relevante Literatur ihrer Zeit.

Dem Band beigefügt sind zwei kürzere, bereits publizierte Aufsätze Adornos. In „Wissenschaftliche Erfahrungen in Amerika“, veröffentlicht 1969 im Jahre seines Todes, blickt Adorno auf seine (nicht nur wissenschaftlichen) Erfahrungen in den USA zurück, wo er 1938–1949 lebte. Bei der Lektüre wird man Zeuge seines Erstaunens über die tatsächlich gelebt-existierende demokratische Kultur in Amerika und wie er in diesem Zusammenhang kritisch auf den europäischen Kulturbegriff schaut, der viel zu sehr auf selbstbezogene Innerlichkeit als auf Gemeinschaft und Common Sense abziele wie in den USA. Hauptsächlich beschreibt der Aufsatz den Hintergrund von Adornos empirischen Studien zu Massenkultur, Musik und Hörgewohnheiten im „Princeton Radio Research Projekt“ und eben im Projekt zur „Authoritarian Personality“.

Der andere Aufsatz, „Meinung Wahn Gesellschaft“ von 1963, ergänzt Adornos Bild des nur in Stereotypen denkenden autoritären Charakters mit der Gegenüberstellung eines freieren Denkens. Adorno geht davon aus, dass diese Charakterstruktur in den meisten Menschen angelegt ist und sich ausbaut, wenn man seine Meinung nicht im Griff hat, d.h., wenn das Fiktionale – das eine Meinung zwangsläufig immer enthält, da man diese einerseits setzten muss, um überhaupt mit dem Denken anfangen zu können, andererseits sie aber auch so schnell wie möglich über sie hinaus muss, um nicht mit zu viel Fiktion zu denken – alles andere dominiert und das ihm Fremde eliminiert. Die in diesem Artikel unternommene Unterscheidung präzisiert somit abschließend all das, um was es in Adornos Hauptschriften zum autoritären Charakter geht und was gerettet werden müsse. In beiden Aufsätzen wird darüber hinaus deutlich, so Ziege im Vorwort (S. 8), wie Adorno seine in den USA erworbenen Erkenntnisse über Massenkultur und Massenwahn 20 Jahre später in den zeitgeschichtlichen Kontext der Bundesrepublik einordnet.

Zieges Nachwort geht den Weg der Kommentierung aufschlussreich weiter. Der Fokus liegt auf einzelnen Themenbereichen: der Aktualität des autoritären Charakters in der gegenwärtigen Forschung, Adornos Begriff vom Individuum im Kontext der Freudschen Psychoanalyse, der Antisemitismus-Theorie, welche die „Bemerkungen“ in nuce enthalten, sowie der Stellung der „Authoritarian Personality“ zum empirischen Großprojekt der „Studies in Prejudice“, das vom American Jewish Committee gesponsert wurde und innerhalb dessen sie zur bekanntesten und erfolgreichsten Publikation wurde. Der Band schließt mit einer knappen Skizze ihrer umfangreichen Rezeptionsgeschichte.

Ziege füllt mit dieser Publikation ein Desiderat der Forschung und schließt eine Lücke in der gegenwärtigen Debatte über eine mögliche Rückkehr des autoritären Charakters auf die Bühne der Weltpolitik. Hier zeigt sich auch Zieges Expertise auf dem Gebiet Antisemitismusforschung: Neben den üblichen Literaturangaben zu Adorno und der Frankfurter Schule dürften viele Angaben in den Kommentaren den meisten Lesern und Leserinnen unbekannt sein und sind beispielsweise auch im „Adorno-Handbuch“ nicht zu finden. Mit dieser Ausführlichkeit schließt der Band an Helmut Königs Kommentar zum Antisemitismus-Kapitel der „Dialektik der Aufklärung“ an. Er kann sowohl als Einführung wie auch Weiterführung dieser Thematik gelesen werden. Die zahlreichen Sammelbände, die hierzu in den letzten Jahren erscheinen sind (Ziege, S. 135), haben vorrangig das Ziel, die Theorie des autoritären Charakters auf die Gegenwart anzuwenden. Zieges Kommentierung setzt jedoch an den theoretischen Grundlagen selbst an und zeigt, was darin an verborgenen Gedankengängen enthalten ist. Das macht ihren Band zu einer wichtigen Ergänzung in der Aktualisierungsdebatte. Darüber hinaus ist er eine maßgebliche Grundlage zum Theoriedesign und der Rezeptionsgeschichte der „Authoritarian Personality“.

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